.
Wie es mit den Rosen in Steinfurth begann
Die Geschichte des Rosenanbaus 1868-1918
von Heike Kramer und Bernhard Alban
Steinfurth war Mitte des 19. Jahrhunderts ein armes Wetterauer Dorf, dessen Bevölkerung sich überwiegend aus Handwerkern und Tagelöhnern zusammen- setzte. 80 % der Gemarkung gehörte den Freiherren von Löw; der Grundbesitz war auf vier Pachthöfe und eine Mühle verteilt. Das Jahr 1868 brachte eine große Veränderung in die Dorfstruktur. Der Pächterssohn Heinrich Schultheis kehrte nach zweijähriger Lehrzeit aus England zurück, wo er den Rosenanbau bei John Cranston in der Nähe von Hereford erlernt hatte.
Sein Vater stellte Heinrich Schultheis Ackerfläche und Arbeiter zur Verfügung. Die beiden Brüder Wilhelm und Konrad stiegen kurze Zeit später ins Geschäft ein. Ziel war die Zucht von Rosenpflanzen durch Veredlung von Wildlingen. Schon bald fand die Produktion auf 100 Morgen (= 25 ha) Fläche statt. Im ersten Jahrzehnt wurden viele ausländische Sorten okuliert – die Rosen wurden in den gesamten deutschen Raum sowie ins europäische Ausland verkauft – sogar bis nach St. Petersburg. 1872 sollen die Gebrüder Schultheis bereits 8.000 Hochstammrosen auf den Markt gebracht haben.
Der dritte Bruder Anton Schultheis wanderte 1877 in die USA aus und gründete in New York die Fa. Schultheis Brothers. 50.000 Rosen wurden für den amerikanischen Markt kultiviert.
In Deutschland und Europa hatten die Brüder Schultheis mittlerweile einen ausgezeichneten Ruf in der Rosenzucht erworben. Heinrich Schultheis gehörte 1883 zu den Mitbegründern des Vereins Deutscher Rosenfreunde, erwarb die „Deutsche Rosenzeitung“ von Ernst Metz, schrieb Artikel über Rosenpflege und verlegte 1889 ein Rosenbuch, das über 2000 Sorten enthält.
Mittlerweile ließen auch ausländische Züchter, wie Vibert, ihre Züchtungen über die Firma Schultheis vertreiben. 1883 wurden beispielsweise 14.800 Pflanzen der auch heute noch bekannten Sorte „Gloire de Dijon“ verkauft. Ab 1887 wurden in Steinfurth Rosenabstimmungen durchgeführt, das heißt, die Rosenfreunde konnten über Musterkataloge die gewünschten Sorten nach Duft und Farbe auswählen. Zwischen 1889 und 1901 drängten verstärkt inländische Sorten auf den Rosenmarkt – teils heute noch bekannte Sorten wie Kaiserin Auguste Victoria und Frau Karl Druschki.
In der Zwischenzeit kamen in Steinfurth weitere Rosenbetriebe hinzu: 1882 Walter und Lehmann, 1886 Philipp Huber und 1888 Johannes Weihrauch. Ehemalige Beschäftigte der Firma Schultheis machten sich selbständig und konnten so die erworbenen Kenntnisse für sich besser vermarkten. Anfangs wurde zum Teil noch mit Anbauverträgen für Schultheis gearbeitet, schon bald hatte man einen eigenen Kundenkreis. Bis zur Jahrhundertwende gründeten immer mehr Steinfurther eigene Betriebe, 1901 schreibt Pfarrer Vigelius in der Kirchenchronik, „dass sicherlich 60 Einwohner einen Gewerbeschein zum Rosenhandel gelöst haben. Der Handel geht bis nach Dänemark, Russland, selbst nach Italien. Einzelne Geschäfte ziehen jährlich bis 300.000 Pflanzen… Durch den Rosenanbau kommt Wohlstand nach Steinfurth.“ Allerdings war dies mit viel Mühe und Arbeit verbunden, zumal anfangs fast keine mechanischen Hilfen oder Maschinen vorhanden waren. Die sehr arbeitsintensive Rosenzucht konnte auch auf kleineren Feldflächen betrieben werden, so dass viele Tagelöhner eigene Anbaubetriebe gründeten und ein besseres Einkommen als bisher erzielten. 1901 wurden 1.700 Morgen Land von den Freiherren von Löw den Pächtern gekündigt, außerdem wurden in den Folgejahren mehrere Pachthöfe aufgegeben. So konnte der stetig steigende Landbedarf gedeckt werden. Allerdings mußten die Rosenbauern mehr als das Doppelte der bisherigen Ackerpacht bezahlen.
Neue Farbtöne und verbesserte Züchtungen erweiterten das Rosensortiment. Mit dem Bau der Eisenbahn 1910 wurden die Versandmöglichkeiten für Rosenpflanzen und auch Schnittrosen erheblich verbessert und auch verbilligt. 1911 schlossen sich einige Betriebsinhaber in Steinfurth zum Gärtnerverein zusammen. Ziele waren die gemeinschaftliche Beschaffung von Bast, Schwefel und Packdraht sowie eine gemeinschaftliche Vorgehensweise gegen „faule Kunden“. Im „Darmstädter Hof“ (heutiges Blumengeschäft Könemann) fand im gleichen Jahr auch die erste Rosenblumen-Ausstellung statt, die als Vorläufer der Rosenausstellungen im Rahmen der Steinfurther Rosenfeste angesehen werden kann.
Ein Rückschritt kam durch den 1. Weltkrieg 1914–1918. Einerseits wurden viele junge Steinfurther zum Militär eingezogen, andererseits benötigte man insbesondere in den letzten Kriegsjahren die zur Rosenzucht genutzten Flächen zu größeren Teilen zum Nahrungsmittelanbau. Zum dritten kündigten die französischen Züchter die Geschäftsbeziehungen auf, internationale Kontakte brachen ab, außerdem wurde der Export schon bald nach Kriegsbeginn verboten. So stand der Rosenanbau nach Kriegsende 1918 vor einem Neuanfang.
.