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Steinfurth – Der blühende Rosenstrauß der Kurstadt Bad Nauheim

von Heinrich Thönges (+), erschienen 1968 in der Festschrift zum Jubiläum 100 Jahre Steinfurther Rosen

 

Der Wetterauer Schriftsteller und Heimatdichter Albert H. Rausch (Henry Benrath) schreibt in seinem Buch ,,Die Welt der Rose“: ,,Wer Einlaß begehrt in die Welt der Rosen, bedarf der inneren Vorbereitung.“ So sollen auch diese Worte einführen und Auskunft geben über die Steinfurther Rosen, die nun über ein Jahrhundert dem Ort Namen und Bedeutung bei allen Rosenfreunden gegeben haben. Sie sollen aber auch einiges aussagen über die Entwicklung und den strukturellen Wandel innerhalb dieser Zeit.

Die ,,Rosenmetropole Steinfurth“ liegt in der fruchtbaren Wetterau, zwischen Frankfurt/M. und Gießen — etwa drei Kilometer vor den Toren des international bekannten Herzheilbades Bad Nauheim — und ist seit 1972 Stadtteil desselben.

Wer sich im Sommer dem Dorf nähert, wird entzückt sein von der herrlichen Pracht der in vielen Farben leuchtenden Rosenäcker, die der Gemarkung ein besonders schönes, einzigartiges Aussehen geben, wie es andere Dörfer in der Wetterau nicht haben. Der Name ,,Steinfurth“, ursprünglich ,,Steinfurte“, bezeichnet den Ort an der mit Steinen aus-gelegten Furt über die Wetter. Der Ort Steinfurth ist eine sehr alte Siedlung und wurde schon im Jahre 914 erstmals urkundlich erwähnt.

Wenn früher vier Gutshöfe als dörfliche Dominante anzusehen waren, die vielen Einwohnern Arbeit und kärgliches Brot gaben, so änderte sich dieser Zustand schlagartig, als Heinrich Schultheis, der älteste Sohn eines Gutspächters, von England in seinen Heimatort zurückkam und im Jahre 1868 die erste deutsche Rosenbaumschule gründete.

Hierdurch war für Steinfurth ein neues Zeitalter angebrochen und der Grundstein für den Rosenort Steinfurth gelegt, der heute als ,,hessische Rosenmetropole“ eine beachtliche Stellung innerhalb der europäischen Rosenanbaugebiete innehat.

Die Vorfahren der jetzigen Steinfurther Generation lernten dort die Rosenkultur von der Pike auf, und viele namhafte Rosenzüchter Deutschlands haben in Steinfurth umfassende Kenntnisse in der Rosenzucht erworben.

Die erste Rosenzeitung wurde in Steinfurth herausgegeben und verlegt, so daß mit Fug und Recht gesagt werden kann, daß der Verein Deutscher Rosenfreunde in Steinfurth seine eigentliche Geburtsstätte hatte.

Keine Epoche in der Geschichte von Steinfurth hat die Struktur der Gemeinde so umgestaltet und grundlegend verändert wie der Beginn des Rosenanbaues. Der Begründer Heinrich Schultheis war einer der bedeutendsten Rosenfachleute seiner Zeit, der bereits im Jahre 1880 erste Buntkataloge herausgab und im Jahre 1.889 das ,,Deutsche Rosen-buch“, dem noch heute große Bedeutung zukommt und das, neben Rosenzeitungen und Buntkatalogen, Zeugnis ablegt von dem Weitblick und der kaufmännischen Initiative dieses Mannes.

Der immer größer werdende Bedarf an Rosen bedingte, daß der Rosenanbau beträchtlich vermehrt werden mußte. So kam es zum Vertragsanbau, daß also Schultheis an kleinere Rosenschulen Produktionsaufträge vergab und ihnen damit zur Selbständigkeit verhalf. Die neuen Betriebsgründungen bedingten nicht nur einen Strukturwandel innerhalb des Dorfes, sondern zogen auch zwangsläufig Besitzveränderungen nach sich. Die Gutshöfe wurden nach und nach aufgelöst, denn für den immer größer werdenden Bedarf an Rosenpflanzen wurden auch ständig größere Anbauflächen benötigt.

Heute werden etwa 45 ha . alljährlich neu mit Wildlingen bepflanzt, die nach zweijähriger intensiver und fachgerechter Kultur als Steinfurther Qualitätsrosen größtenteils über den Fachhandel an den Endverbraucher kommen. Der alljährliche Rosenanbau beträgt ca. vier Millionen Pflanzen und stellt in der deutschen Rosenproduktion einen sehr beachtlichen Faktor dar.

Rosen aus Steinfurth stellen aufgrund ihrer besonderen Wachstumsbedingungen, begünstigt durch das hier vorherrschende Binnenklima, eine Qualitätsware dar, die allerorts, selbst unter ungünstigen klimatischen Bedingungen, freudig wächst und eine lange Lebensdauer verspricht.

Durch die verkehrsgünstige Lage von Steinfurth im Großwirtschaftsraum Frankfurt/M. und die günstige Verbindung zum Flughafen Rhein/Main können die Lieferungen nach allen Teilen Deutschlands und ins Ausland äußerst frachtgünstig ausgeführt werden.

Auch die Verkaufsmöglichkeiten mußten sich den Bedürfnissen anpassen, und so hat sich in Steinfurth im Jahre 1961 die erste Genossenschaft gebildet, die sich mit dem Vertrieb von Rosen befaßt. Dreißig Rosenschulen im Steinfurther Anbaugebiet sind Mitglied und vermarkten ihre Rosen größtenteils über die Absatzgenossenschaft. Die größeren Steinfurther Rosenschulen verkaufen ihre Pflanzen direkt an private Rosenliebhaber, jedoch größtenteils an Wiederverkäufer innerhalb der Gartenbaubranche, wie Baumschulen, Garten-Center, Garten- und Landschaftsbaubetriebe und vielfach auch an städtische Gartenämter.

Nachdem heute der Endverbraucher auch die Möglichkeit hat, in Samenfachgeschäften, Warenhäusern und Märkten Rosenpflanzen, geschmackvoll verpackt und mit naturgetreuen Buntbildern versehen, ohne Gefahr für das Anwachsen zu kaufen, wurde für Steinfurther Rosen auch auf diesem Absatzwege ein neuer Kundenkreis erschlossen, und viele Betriebe befassen sich heute mit Verpackungsarbeiten.

Etwa zehn Rosenschulen sind Mitglied des Bundes deutscher Baumschulen und erhalten von dieser Berufsorganisation Unterstützung in betriebswirtschaftlichen Fragen und Beratung in der Produktion.

Wenn auch die Steinfurther Rosenfelder, von denen einmal geschrieben wurde, sie würden wie ein Auge Gottes zwischen Weizen- und Rübenäckern hervorleuchten und seien wohl die schönsten, die es auf deutscher Erde gäbe, für unsere Besucher eine unvergeßliche Sehenswürdigkeit darstellen, so ist doch als Höhepunkt des Jahres das Steinfurther Rosenfest mit seinem einmaligen Rosenkorso anzusehen, das immer wieder viele Tausende von begeisterten Rosenfreunden in seinen Bann schlägt und unvergeßliche Eindrücke hinterläßt.

Schon im Jahre 1911 erkannten weitschauende Steinfurther Rosengärtner, daß es notwendig wäre, das Standarderzeugnis von Steinfurth, die Rose, der Öffentlichkeit nahezubringen und die Königin der Blumen auf Ausstellungen zu zeigen. Wenn auch die damaligen Rosenausstellungen, gemessen an den heutigen Maßstäben, nur sehr bescheiden waren, wenn auch die Besucherzahlen nur einen kleinen Prozentsatz dessen aus-machten, was heute an den Festtagen der Steinfurther Rose in unseren Mauern anzutreffen ist, so waren sie doch Wegbereiter für unsere jetzigen Bestrebungen und richtungsweisend bis in die heutige Zeit.

Im Jahre 1949 wurde im Rahmen einer von der amerikanischen Kreisverwaltung angeregten »gute Nachbarschaftswoche“ das erste Steinfurther Rosenfest nach dem Zweiten Weltkrieg gefeiert. Bis zum Jahre 1970 fanden dann in jährlicher Folge Rosenfeste statt, die verbunden waren mit einem von Jahr zu Jahr schöneren und vollkommeneren Rosenkorso.

Auch das Volksfest, in Verbindung mit einer Industrie- und Gewerbeschau, wurde immer bedeutender und damit auch die Organisations- und Aufbauarbeiten immer umfangreicher. So beschloß man 1970, das Steinfurther Rosenfest künftig in zweijährigem Turnus zu veranstalten. Durch die gute Unterstützung der Bad Nauheimer Stadtverwaltung darf man hoffen, daß dieses einmalige hessische Volksfest, das in Fachkreisen weltweite Beachtung findet, auch weiterhin erhalten bleibt.

 

 

 

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